Kurzdefinition
Bindungstrauma ist eine frühe Form von Entwicklungstrauma, die entsteht, wenn grundlegende Bindungsbedürfnisse – wie emotionale Co-Regulation und Verlässlichkeit – in der Kindheit nicht ausreichend oder verlässlich erfüllt wurden. Dies führt zur Entwicklung unbewusster Schutzstrategien, die im Erwachsenenalter die Beziehungsdynamik und das Nervensystem tiefgreifend prägen.
Ausführliche Erklärung
Bindungstrauma entsteht nicht zwingend durch offenkundigen Missbrauch, sondern oft durch eine subtile, aber chronische Nichterfüllung emotionaler Bedürfnisse. Wenn ein Kind wiederholt erlebt, dass seine Signale nicht feinfühlig beantwortet werden, lernt sein System, mit Überforderung und Schmerz allein umzugehen. Dies hinterlässt Spuren auf neurobiologischer Ebene, insbesondere in der rechten Gehirnhälfte, die für emotionale Wahrnehmung und Selbstregulation zuständig ist.
Das Nervensystem entwickelt eine dauerhafte Tendenz, Gefahr schneller wahrzunehmen und selbst neutrale Signale als bedrohlich zu interpretieren. Modelle wie NARM (Dr. Laurence Heller) erklären, wie in verschiedenen Entwicklungsphasen (Kontakt, Einstimmung, Vertrauen etc.) unterschiedliche Überlebensstrategien entstehen. Im IFS-Modell (Internal Family Systems) werden diese Strategien als "Beschützer-Teile" verstanden, die die verletzlichen, "verbannten" Anteile vor weiterem Schmerz bewahren sollen.
Kontext (Relation)
Bindungstrauma ist einer der Nährböden für die Entstehung der Nähe-Distanz-Spirale. Einige der im Trauma erlernten Schutzstrategien manifestieren sich im Erwachsenenalter als die Rollen des Verfolgers (z.B. laut werden, um gesehen zu werden) oder des Vermeiders (z.B. Rückzug zum Selbstschutz). Wichtig ist dabei: Diese Muster müssen nicht vollständig "geheilt" werden. Stattdessen ist das Ziel, dass Paare lernen, erwachsen mit den Überresten dieser frühen Strategien umzugehen und Verantwortung für ihre Impulse zu übernehmen. Eine sichere Paarbeziehung, in der die Angst vor Verletzlichkeit und die Verbindung Platz haben dürfen, kann so selbst zu einer korrigierenden Erfahrung werden.
Wichtig: Nicht jede Verletzlichkeit ist ein zu heilendes (Entwicklungs-)Trauma. Während Bindungstrauma spezifische Schutzmuster prägt, ist ein Teil des Schmerzes in Beziehungen strukturell und relational. Er entsteht nicht nur durch eine Blockade in der Vergangenheit, sondern durch die reale Abhängigkeit und Verletzlichkeit im Hier und Jetzt. Dieser relationale Schmerz erfordert keine innere 'Erlösung' eines 'Exiles (Internal Family System-Sprache)', sondern gegenseitige Ko-Regulation und Anerkennung der Realität und Abhängigkeit von unserem Partner.

